BIM2Field: Neubau KEBAG Enova in Zuchwil
Die Bewehrungstechnik der Debrunner Koenig Gruppe digitalisiert Bewehrungsstahl und Schraubverbindungen
In Zuchwil SO entsteht die KEBAG Enova, eine der grössten Kehrichtverwertungsanlagen der Schweiz. Das knapp 560 Millionen Franken teure Bauprojekt wird konsequent nach BIM2Field-Grundsätzen umgesetzt. Die Bewehrungstechnik der Debrunner Koenig Gruppe hat dafür eigens digitale Bauteilkataloge für höherfesten Bewehrungsstahl Top700 und BARTEC® Schraubverbindungen erstellt.
Nach bald 50 Jahren Betrieb stiess die kenova AG in Zuchwil SO – eine der grössten Kehrichtverwertungsanlagen der Schweiz – an ihre Altersgrenze. Das Risiko unerwarteter Ausfälle mit teuren Betriebsunterbrüchen und Engpässen in der Entsorgung würde mit zunehmendem Alter steigen. Deshalb wird die Anlage durch einen knapp 560 Millionen Franken teuren Neubau ersetzt: die KEBAG Enova. Dank moderner Technologien wird die neue Anlage bis zu 15% mehr Energie aus der gleichen Abfallmenge zurückgewinnen können. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag an die nachhaltige Energieversorgung der Region.
1.90 m Distanz bergen logistische Herausforderungen Die Bauarbeiten haben im Mai 2020 gestartet, die Inbetriebnahme des Ersatzneubaus erfolgt voraussichtlich 2025. Im Anschluss wird die bestehende Anlage rückgebaut. Zwischen der alten und der neuen Anlage bleiben gerade einmal 1.90 m Platz. Das stellt die Bauherrin kenova AG sowohl beim Betrieb der alten als auch beim Bau der neuen Anlage und nicht zuletzt beim Rückbau der alten Anlage logistisch vor einige Herausforderungen.
Abfallverwertung: Strom, Wasser, Zink und Brennstoff Die neue Kehrichtverwertungsanlage wird in vier Bereiche gegliedert sein. Im Bunker wird der Abfall – zu je 50% auf der Strasse oder per Bahn angeliefert – gelagert. «Das Lager dient als Reserve bei Revisionen, zur Überbrückung der abfallsammelfreien Weihnachtstage und zum Ausgleich jahreszeitbedingter Anlieferschwankungen», erklärt Markus Juchli, Direktor der kenova AG. Vom Bunker aus gelangt der Abfall in die Prozesshalle, wo er bei ca. 1’000 °C verbrennt. Im Dampfkessel übertragen die entstandenen Rauchgase ihre Energie an das Wasser und es entsteht Wasserdampf, der mithilfe einer Dampfturbine in Strom umgewandelt wird. Der dritte Bereich nennt sich Fluwa/Aba, was für «Flugaschenwäsche/Abwasserbehandlungsanlage» steht: Aus der Flugasche wird Zink gewonnen. Das verbrauchte Waschwasser wird aufbereitet und an die ARA weitergeleitet. Die Verwaltung bildet den vierten Bereich der KEBAG Enova.
37 m lange Stahlträger und bis zu 80 cm Deckenstärke
Wegen der vier verschiedenen Bereiche ist die Gebäudegeometrie der KEBAG Enova äusserst komplex. Wiederholungen sind praktisch keine vorhanden. Auch die Grundwasserverhältnisse und der feinsandige Boden waren eine Herausforderung. Markus Juchli: «Das Gebäude ist auf einer kombinierten Pfahl-Platten-Gründung fundiert. In diesem Tragsystem wirken über 200 rund 25 m lange Grossbohrpfähle, eine Fundamentplatte und der Boden.» Das immense Gewicht und die grossen Anlageteile der Kehrichtverwertungsanlage erfordern ein robustes Tragwerk mit Wand- und Deckenstärken bis zu 80 cm. Wegen Spannweiten von bis zu 37 m und Auskragungen von bis zu 24 m sind einige Bauteile vorgespannt. Auch die von der STRABAG AG vor Ort vorfabrizierten 17 Träger für das Bunkerdach beeindrucken: Sie sind 37 m lang und 140 t schwer und mithilfe eines Raupenkrans mit Superlift eingehoben worden.
BARTEC® Schraubverbindungen für hohe Belastung und optimale Kraftübertragung Damit die Träger der grossen Belastung standhalten und Kräfte optimal übertragen, sind in ihrem Inneren BARTEC® Schraubverbindungen eingesetzt worden. Deren exakte Platzierung war wichtig: Die über die Länge der Träger gekoppelten BARTEC® Stäbe mussten den Endverankerungsbereich zentimetergenau erreichen. Gekoppelt wurden die Betonstäbe mithilfe der BARTEC® LCE-Verbindung. Das vereinfachte das Handling, weil nicht der ganze Betonstab, sondern nur die Verbindung in einer Schraubbewegung zu drehen war. Dies war vor allem von Vorteil, da der hohe Schubbügelgehalt in den Trägern den Zugang zu den liegenden Zugeisen erschwerte.
Grösste Fassadenphotovoltaikanlage der Welt
Bis zu 50 m hoher Sichtbeton mit Natursteineinlagen wird die Fassade künftig prägen. Die Prozesshalle wird mit 5’400 m2 eine der aktuell grössten Fassadenphotovoltaikanlagen der Welt tragen. Deren Spitzenleistung liegt bei 1’190 kWp. Auch auf dem Bunkerdach wird eine Photovoltaikanlage installiert werden. Sie weist 850 m2 auf und erbringt 175 kWp Spitzenleistung. «Die jährliche Gesamtleistung beider Anlagen beträgt 1’365 kWp. Sie dienen als zusätzliche Stromquelle, um einen Teil des Eigenbedarfs der kenova AG abzudecken», sagt Markus Juchli.
Bewehrungsstahl und Schraubverbindungen als digitaler Bauteilkatalog Die BEWETEC AG lieferte für dieses Grossprojekt über 4350 t Betonstahl – darunter höherfesten Bewehrungsstahl Top700 und 350 t als BARTEC® Schraubverbindungen – sowie Pyratop® Bewehrungsanschlüsse. Da die KEBAG Enova von der AFRY Schweiz AG konsequent als BIM2Field-Projekt geplant wurde, waren digitale Bauteilkataloge aller eingesetzten Produkte notwendig. Bewehrungstechnik-Ingenieure der Debrunner Koenig Gruppe digitalisierten deshalb – eigens für das Projekt KEBAG Enova – den höherfesten Bewehrungsstahl Top700 sowie BARTEC® Schraubverbindungen. Anschliessend wurden die digitalen Bauteilkataloge in die BIM-Software «Tekla» integriert. Damit war der Weg frei für das durchgängig modellbasierte Arbeiten bei diesem Grossprojekt.
BIM2Field für flüssigen Bauablauf und effizientere Prozesse auf der Baustelle Verantwortlich für die modellbasierte Umsetzung auf der Baustelle ist die STRABAG AG. Stijepan Ljubicic, früherer BIM Manager bei STRABAG und heutiger Geschäftsführer der BDFsmart GmbH, berichtet: «Auf der Baustelle waren bis zu zehn Tablets gleichzeitig im Einsatz sowie ein grosser Bildschirm im Containerbüro. Die Ausführungsmodelle wurden vor Baubeginn mithilfe der Bausoftware etappenweise gemäss Betonierabschnitten aufgebaut. Dadurch konnte unser Polier in der AVOR die Materialbestellung für Betonarbeiten per Knopfdruck direkt ab Modell auslösen.» Mithilfe von Robotic Totalstationen gelangte das Tragwerkmodell via Cloud auf die Baustelle, wo die Absteckung für Schalungsarbeiten modellbasiert stattfand. «Die Besonderheit auf dieser komplexen Baustelle war, dass wir bei den Bewehrungsarbeiten komplett auf 2D-Pläne verzichteten und sämtliche Arbeiten modellbasiert abwickelten», sagt Stijepan Ljubicic. Die Vorteile von BIM2Field liegen auf der Hand: bessere Ausführungsplanung, flüssiger Bauablauf, stets aktuelle Baupläne, automatische Berechnung der Materialmenge und -art, einfacher Export von Materiallisten für Bestellungen, mehrere Lagen in 3D abbilden, kein E-Mail-Verkehr und kein Papierverbrauch – ein digitaler Zwilling für Betriebs- und Unterhaltsmanagement. Indem Prozesse vereinfacht wurden, wurden sie effizienter. Davon profitierten sämtliche am Bauprojekt Beteiligten. Nicht zuletzt konnten dank BIM der straffe Terminplan eingehalten und die Qualitätsansprüche aller Beteiligten erfüllt werden. Die Kaltinbetriebnahme der KEBAG Enova ist für März 2025 geplant.
Die KEBAG Enova in Zahlen
Die neue Kehrichtverwertungsanlage misst im Grundriss 130 × 110 m und vom tiefsten bis zum höchsten Punkt 60 m. Die Aushubmenge betrug 60’000 m3 und es wurden 53’000 m3 Beton verarbeitet. Jährlich wird die Anlage rund 221’000 t Abfall von 178 Gemeinden in den Kantonen Bern und Solothurn verwerten. Sie produziert Strom für 42’000 Haushalte und zusätzlich Wärme für 12’000 Gebäude. |
«Über 2’600 Betonieretappen ab Tablet bewehrt»
Markus Juchli, Direktor, kenova AG
Die KEBAG Enova wird konsequent als BIM2Field-Projekt umgesetzt. Wie haben Sie die Arbeiten bisher erlebt?
Unsere Baustelle ist eines der grössten BIM-Pilotprojekte der Schweiz: Gemäss der AFRY Schweiz AG – u.a. verantwortlich für die Tragwerksplanung – hat man über 2’600 Betonieretappen vollständig ab Tablet statt mithilfe von Papierplänen bewehrt. Millimetergenaue Arbeit direkt ab Modell, das hat mich beeindruckt.
Worin sehen Sie die Vorteile von BIM?
Der hohe Grad an Digitalisierung half mit, dass die Reaktionszeit auch bei kurzfristigen Projektanpassungen immer kurz war. Bei der Software «Tekla» sind die Elemente miteinander verknüpft – sie wissen von ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und reagieren auf Veränderungen.
Was meinen Sie mit «gegenseitigen Abhängigkeiten»? Passt man ein Betonelement an, z.B. durch eine zusätzliche Aussparung oder die Verkürzung der Wände, erkennt dies jedes einzelne Eisen in allen betroffenen Bewehrungslagen und passt sich, wenn nötig, automatisch und korrekt an die neue Situation an. Auch die Eisenlisten werden aktualisiert. Das Modell bei der KEBAG Enova besteht aus mehreren hunderttausend Betonelementen, dementsprechend sind darin mehrere Millionen Bewehrungseisen enthalten.
Was bedeutet dieses Projekt für Sie und die kenova AG?
Wir sind ein KMU mit rund 60 Mitarbeitenden und müssen ein 560-Millionen-Franken-Projekt stemmen – das ist definitiv eine Herausforderung.
Was bringt die KEBAG Enova der Region?
Nach der Inbetriebnahme werden wir 15% mehr Energie in Form von Wärme oder Strom liefern können, und die Abfallentsorgung für die nächsten 50 Jahre ist gewährleistet. Uns freut die optisch schöne Anlage und sie geniesst einen guten Rückhalt in der Bevölkerung. Der neue Standort liegt näher an der Strasse, dadurch wird der Neubau bewusster wahrgenommen. Die meisten sind fasziniert von den Dimensionen.
Worauf sind Sie besonders stolz? Trotz teils schwieriger Bedingungen wie straffem Zeitplan, engen Platzverhältnissen, Corona und Teuerung sind wir zufrieden mit dem Verlauf des Bauprojekts. Bisher haben wir viel geplant und gebaut, bald muss die Anlage zeigen, was sie kann.
Bauherrschaft: | kenova AG, Zuchwil |
Ingenieurbüro: | AFRY Schweiz AG (Bereiche Spezialtiefbau, Baugrube und Tragwerksplanung) |
Baumeister: | STRABAG AG, Hochbau Oensingen |
Realisierung (Zeitraum): | 2020 bis 2025 |